Montag, 14. März 2016

Rising Star, Arbeitspferd, Problemkind oder Totholz?

Wie Personalchefs ihre Beschäftigten sehen






"Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!" - So beginnen meistens Ansprachen von Unternehmensbesitzern und ihren Managern an die Beschäftigten ihrer Betriebe. Soll heißen: wir arbeiten alle zusammen für  e i n  Ziel und sitzen alle zusammen in  e i n e m   Boot. Das verwischt aber die realen Macht- und Eigentumsverhältnisse. Auch die Begriffe "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" verschleiern die Tatsache, daß der eine seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt verkauft und der andere sie zu Marktbedingungen kauft bzw. mietet.


"Lohnabhängig Beschäftigte" trifft es da schon eher. Oder warum nicht gleich Arbeiterklasse respektive ArbeiterInnenklasse, da Männer und Frauen gleichermaßen ihre Ware Arbeitskraft auf dem Markt feilbieten? Wobei man dann nach Marx noch zwischen der Klasse für sich und der Klasse an sich unterscheiden müßte, also zwischen denen, die wissen, was los ist und denen, die sich als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im gleichen Boot fühlen wie ihr Chef. Nur daß erstere rudern und die anderen den Kurs, die Ladung und den Profit bestimmen. (Und für den Fall des Falles meist auch noch ein Rettungsboot für sich in Reserve haben).


Welches Menschenbild Personalchefs und Human Resources Manger von ihren "lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern" tatsächlich haben, das läßt sich in ihren internen Analysen sehen:
nämlich das einer Ressource, die restlos ausgebeutet werden muß. Es ist das ein Bild vom Menschen, daß dem der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft entspricht. Neoliberale Wortmonster wie "Ich-AG" oder "Selbst-GmbH" zeigen als semantische Wegmarken auf, wohin die Reise geht.



Die »Ich AG« aus dem Hartz-Gesetz II schien vielen recht kurios: Arbeitslose sollten ein Unternehmen gründen und mit Hilfe eines Zuschusses vom Jobcenter Selbständige werden. Sie wurden auch als Selbst-Unternehmer oder Selbst-Arbeitgeber bezeichnet.
Damit sollte die Arbeitslosigkeit bekämpft und es sollte dem Bedarf an kostengünstigen Dienstleistungen entsprochen werden. Die Maßnahme wurde 2006, zwei Jahre nach ihrer Einführung, erfolglos abgebrochen.







Das »Ich-Prinzip«


Trotzdem beherrscht der Grundgedanke der sogenannten Ich-AG das »moderne Personalmanagement«. Er ist das Leitprinzip einer globalen wissenschaftlichen Disziplin und einer Unternehmenspraxis: Human Resources (HR). Thomas Sattelberger, langjähriger Personalchef der Deutschen Telekom, »Leitwolf« der deutschen HR-Szene, hat bereits 1999 die Initiative »Wege zur Selbst-GmbH« gegründet. Die Mitgliederliste spiegelt das Who is Who der deutschen Wirtschaft wider: Deutsche Bank, Telekom, Bayer, Otto. Die Initiative versteht sich als »das innovative Netzwerk von Personalprofis: Unternehmer im System Arbeit«.


HR geht davon aus, daß die Beschäftigten selbst und jeder für sich Unternehmer sind/ist, Arbeitsunternehmer. Dafür sind nicht nur die fachlichen und überfachlichen Qualifikationen wichtig, sondern die »grundsätzlichen Einstellungen und Haltungen« der Persönlichkeit. Hier fehle es bei den Beschäftigten bisher an der »richtigen Einstellung«. Motto: Unternehmen brauchen den ganzen Menschen. Was ist aber mit »grundsätzlich« gemeint, was mit der »richtigen« Einstellung? Die HR-Vertreter wagen es nicht, offen auszusprechen, worum es ihnen geht, nämlich um den Profit der Privateigentümer und die Privilegien des Leitungspersonals.


Es ist ja tatsächlich richtig und notwendig, daß die Beschäftigten von sich aus tätig sein und um ihre Arbeitsbedingungen kämpfen müssen. Das ist insoweit eine elementare, vielfach vergessene Erfahrung der Arbeiterbewegung. Die Beschäftigten müssen sich als Unternehmer verstehen, aber nicht als einzelne Privateigentümer, sondern als assoziierte, gesellschaftliche Unternehmer.
Das fängt im Kapitalismus damit an, daß sich die Lohnabhängigen zunächst in den vorgegebenen Formen zusammenschließen und organisieren, als Betriebsräte, Genossenschafter, Gewerkschafter, in Parteien, Vereinen. Das geht logischerweise weiter hin zu Formen des auf die ganze Gesellschaft ausgedehnten Gemeineigentums, zum Sozialismus.


Dagegen behält im HR-Ansatz der »Arbeitsunternehmer« den Status als Lohnabhängiger. Ihm fehlen ja gerade die wesentlichen Eigenschaften des Unternehmers, nämlich über Produktionsmittel, Lohn, Arbeitsbedingungen und Gewinn zu entscheiden.


Man kann den HR-Zentralbegriff »Employability« übersetzen mit »Beschäftigungsfähigkeit«. Der einzelne Angestellte soll sowohl mit den für seine jeweilige Beschäftigung notwendigen fachlichen Qualifikationen wie auch mit der »richtigen« Einstellung ausgestattet sein.


Die »Beschäftigungsfähigkeit« wird mit Hilfe der verschiedensten Test- und Gesprächsmethoden ermittelt. Dabei werden die Angestellten in Leistungsgruppen unterteilt. Entweder machen das die internen Personalabteilungen oder externe Beratungsfirmen. So hat beispielsweise die Boston Consulting Group (BCG) das »People Performance Potential Model« (Modell zur Bestimmung des Arbeitspotentials) entwickelt. Es teilt die Beschäftigten in vier Leistungsgruppen ein:


1. Rising Stars (aufsteigende Sterne): Diese Beschäftigten erbringen den besten »Return on Investment«, d.h. die Investition in ihr Gehalt und in ihren Arbeitsplatz erbringt für die Eigentümer des Unternehmens den verhältnismäßig höchsten Gewinn. Die Personalabteilung soll die Rising Stars frühzeitig erkennen, für den weiteren Aufstieg fördern und an das Unternehmen binden.


2. Workhorses (Arbeitspferde): Sie arbeiten effektiv, sind aber auf dem für sie höchsterreichbaren Niveau angekommen. Sie sollen – bis zum nächsten Test – ohne weitere Maßnahmen auf ihrem Arbeitsplatz bleiben.


3. Problem Children (Problemkinder): Sie sollen weiter getestet werden, um herauszufinden, ob sie erfolgreich gefördert werden können. Wenn nicht, werden sie versetzt oder aus dem Unternehmen entfernt (Exit Business).


4. Deadwood (Totes Holz): Sie sollen umgehend versetzt oder entfernt werden.
Von solchen Leistungsklassifizierungen und -tests kursieren zahlreiche, auch differenziertere Varianten. So werden z.B. mit dem Test DNLA (Discovery of Natural Latent Abilities, Entdeckung natürlicher verborgener Talente) die »menschlichen Potentiale« ausgewählter Zielgruppen für bestimmte Arbeitsplätze erfaßt. Andere Methoden befassen sich mit der Messung der Zufriedenheit der Beschäftigten.




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Flexibilisierte »Menschenführung«


Zu den wichtigen Eigenschaften der sogenannten Ich-Unternehmer gehört nach dem HR-Konzept die Flexibilität. Man könne beispielsweise die Arbeitszeiten den »persönlichen Bedürfnissen anpassen«, etwa nur halb- oder vierteltags arbeiten, nur an bestimmten Tagen, nur zu bestimmten Tageszeiten, so wird geworben. Den Beschäftigten wird keine feste Arbeitszeit vorgeschrieben, die sprichwörtliche Stechuhr ist abgeschafft. Das wird öffentlich mit Werbebegriffen wie »Zeitsouveränität« und »Vertrauensarbeitszeit« präsentiert. Das klingt nach Freiheit.


In der internen HR-Sprache heißt dies jedoch »indirekte Personalsteuerung«. Denn gleichzeitig mit der Abschaffung der festen Arbeitszeiten und der Stechuhr wird die Arbeitsleistung genau gemessen und zwischen den Beschäftigten verglichen. Jedes Jahr z.B. wird ein vorher festgelegter Prozentsatz der Beschäftigten als »Low Performer« (Minder- bzw. Schlechtleister) ermittelt und aus dem Unternehmen gedrängt. Dagegen werden die »Talente« oder »Rising Stars« gefördert und dürfen aufsteigen – auch sie in gegenseitiger Konkurrenz.


Auf diese Weise führt die Entfernung der Stechuhr nicht zu einer je nach individuellen Bedürfnissen gestalteten Arbeitszeit, sondern zu offener und heimlicher Konkurrenz, zum Kampf jeder gegen jeden und zu einer potentiell ins Endlose ausgedehnten Arbeitszeit. Das kann für einzelne »Genies« in bestimmten Situationen und auf bestimmte Zeit schön sein. Aber als dauerhafte Normalsituation fördert das den Ellenbogenegoisten, den »Sozialkümmerling«, den arroganten Höchstleister, den gnadenlosen Mobber und Zyniker – und das Burnout.


Die Flexibilisierung gilt auch für die weiteren Arbeitsbedingungen, für Löhne, Gehälter und Sozialsysteme. So wird sie zum Gegenteil des Behaupteten, nämlich zu Unfreiheit. Das Ziel ist es, bei den Beschäftigten Maß an Selbstausbeutung und Unterwerfung zu erschließen, das sie bei gleichzeitiger Höchstleistung (vermutlich) ohne Störung des Betriebsablaufs ertragen, zumindest auf kürzere oder mittlere Sicht. Verschleiß ist einkalkuliert.




(...)




Neuer Gesellschaftsvertrag


Jede Form, in der sich die Beschäftigten aus ihrer Vereinzelung lösen und sich zusammentun – unabhängige Gewerkschaften, Betriebsräte nach Betriebsverfassungsgesetz, selbständig organisierte Betriebsversammlungen – passen ebenso wie Streiks und Arbeitsrechte im Sinne der Menschenrechte nicht zum HR-Konzept. Im Vorzeigeunternehmen SAP zum Beispiel bedeutet das: Es gibt keine Tarifbindung, das Entlohnungs­system ist kompliziert, nicht transparent.


Die Gehälter sind individuell, marktbezogen, abhängig von Leistung und der »richtigen Einstellung«. Die Leistung jedes Mitarbeiters wird immer in ­Relation zu der anderer bewertet, so daß ein dauernder Wettkampf stattfindet, in dem sich die »Arbeitsunternehmer« ständig gegenseitig steigern sollen. Trotzdem kann ihnen der hochbezahlte Unternehmensvorstand auch bei gleichbleibender Leistung jahrelange Nullrunden aufzwingen.


Die vereinzelten Lohnabhängigen als Unternehmer ihrer selbst sind folglich die zerrissensten Persönlichkeiten. Sie sollen die stärksten denkbaren gesellschaftlichen Gegensätze in sich vereinen: Sie sollen als Unternehmer die im Kapitalismus größtmögliche Freiheit praktizieren, während sie mit aufgezwungener Ideologie in Wirklichkeit widerstandslos unfrei sind und extrem ausgebeutet werden können. Wer gleichzeitig Arbeit»geber« und Arbeit»nehmer« sein soll oder will, wird auf die eine oder andere Weise verrückt.


Das führt mehrheitlich – unter der Oberfläche scheinbar funktionierender Arbeitsabläufe – langfristig zu Ausweichverhalten der verschiedensten Art, zu Lähmung, Desorientierung, moralischer Deformation, innerer Kündigung und zu Krankheiten – oder zum Widerstand. Der ist aber nur möglich, wenn die Beschäftigten ihre Vereinzelung durchbrechen können. Unter den von HR-Praktiken geprägten Betriebsverhältnissen ist das heute aber schwieriger denn je.


Die HR-Vertreter wollen das »System der Arbeit« umgestalten. »Die Personalmanager sind die Innovatoren im System Arbeit.« Und sie wollen noch mehr, nämlich einen »neuen Gesellschaftsvertrag«. Für eine solche Übereinkunft gibt es auch aus demokratischer Perspektive viele Gründe. Allerdings sind es in den Augen der HR-Vertreter nicht freie Bürger und organisierte Arbeiter, die den neuen Gesellschaftsvertrag gestalten dürfen. Vielmehr sollen auch hier »die Unternehmen«, also die Eigentümer und ihr Leitungspersonal, die Gesellschaft neu ordnen.


Dazu hieß es 2011 auf dem »ZukunftsForum Personal«: »Unternehmen als gesellschaftliche Akteure und Nutznießer sind gefordert, Bürgerpflichten zu erfüllen.« Sie verstehen sich somit als die neuen Bürger, treten an deren Stelle und definieren die Begriffe und Praktiken demagogisch neu.


»Unternehmen müssen wichtige gesellschaftliche Anliegen wie Menschenrechte, Bildung, Migration, Armutsbekämpfung, Gesundheit und Chancenfairneß aufgreifen und aktiv Verträge und Bündnisse mit Politik und Zivilgesellschaft schließen.« Demokratische Politik (oder was davon durch das Wirken derselben Akteure übriggeblieben ist) soll nun ganz und endgültig ersetzt werden nach dem Motto »Der Staat sind wir«.  (...)






Quelle: Werner Rügemer : "Unterwerfung als Freiheit" (gekürzt), in:  junge Welt 17.09.2013
Wir danken Werner Rügemer für die freundliche Genehmigung zum Abdruck des Artikels.

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